Mündung Mur Drau
 

115 Flusskilometer auf der Mur

Jörn Kaufhold / Sommer 2023 / Mitteleuropa

S wie Strecke

Von Bad Radkersburg, Österreich bis Örtilos, Ungarn, wo die Mur in die Drau mündet. Rund 115 Kilometer. Gestartet in der zweiten Septemberwoche am Dienstagnachmittag, angekommen am Samstagvormittag. Vier Tage und Nächte am und auf dem Fluss.

P wie Pegel

150 cm Wasserhöhe beim ungarischen Pegel Letenye. Tendenz leichtfallend. Genau die richtige Höhe für meine Fähigkeiten und mehr als genug Wasser unter dem Kiel bei flotter Strömung. 

E wie einzigartig

Teile der unteren Mur gehören zum weltweit einzigartigen Biospährenpark, der sich über fünf Länder erstreckt: Österreich, Slowenien, Kroatien, Ungarn und Serbien. 700 Kilometer geschütztes Flussgebiet entlang an Mur, Drau und Donau. Slogan: „Amazon of Europe“.

F wie Faltboot

Secondhand gekauft. Nortik Navigator. Ein Seekajak, rund 5 Meter lang, mit Holzgerüst und mehrmals geflickt. Großartig zu transportieren und zu verstauen und in seiner Spurtreue und Geschwindigkeit einfach ein Fahrvergnügen.

G wie Grenzen

Oh ja, es gibt viele Ländergrenzen auf der Mur. Täglich habe ich eine überquert: von Österreich nach Slowenien, von Slowenien nach Kroatien und zwischen Kroatien und Ungarn verläuft die Grenze mal rechts, mal links vom Fluss, so dass ich nie wusste, in welchem der zwei Länder ich gerade war. Seitdem Kroatien auch Teil des Schengenraums ist, sind die Grenzen wieder „weich“.
Hier mein Wunsch: Ungarn sollte da nachziehen und die kilometerlangen NATO-Drähte aus dem Augebiet wieder abbauen. Das sieht - mit Verlaub – Scheiße aus und ist für vierbeinige Säugetiere eine ökologische Sauerei.

N wie Niemandsland

Gerade weil es so absurd viele Grenzen gibt, fühlt sich die Mur wie ein Niemandsland an. Dabei hilft auch, dass der Fluss auf dieser Strecke nur an einer Stadt, Mursko Središće, vorbeifließt und die ist mit rund 6.000 Einwohnern eher ein Städtchen. Mögen hinter den Auwäldern Dörfer liegen, Flaggen wehen, Grenzbeamte warten – die Mur besteht nur aus Strömung, Ufer und Auwald und ihren Bewohnern, von denen die allermeisten keinen Pass haben.

M wie Mücken

Man oh man, es schwirren sehr viele Mücken, horrend viele Mücken. Aber auch hier gibt es einen natürlichen Rhythmus, der, wenn man sich anpasst, einem das Leben leichter und ansonsten zur Hölle macht. Zwischen neun und fünf kann man sich frei bewegen, vorausgesetzt die Sonne scheint und man steht in derselben. Davor und danach eher nicht so gut, gelinde gesagt. Lange Kleidung und Langmut hilft, viel Langmut.

B wie Baumleichen

Einige Abschnitte sind dicht bespickt mit unzähligen Baumleichen, die das diesjährige Rekordhochwasser mit sich gerissen hat. Das ist nicht ungefährlich, vor allem da, wo das Totholz mitten im Flussbett liegt. Genau in so einer Situation hats mich auch einmal geschmissen. Ich wollte einem Ast ausweichen, aber habe die Querströmung falsch eingeschätzt. Gut, dass das Wasser an dieser Stelle nur knietief war. Ansonsten kanns auch Böse ausgehen. Unbedingt aufpassen!

S wie Sichtungen

Mein Höhepunkt zwei Seeadler, die friedlich nebeneinander auf dem Kiesstrand einer kleinen Flussinsel sitzen. Ich komme um die Biegung, sie schauen mir eine Weile zu und fliegen dann reichlich entspannt davon. Gefallen haben mir auch: Flussregenpfeifer, Flussuferläufer, Waldwasserläufer, viele Kormorane und Eisvogel, ein lautstarker Trupp Bienenfresser am frühen Vormittag, Grau- und Silberreiher und ein Seidenreiher im Flug.

H wie Hirschbrunft
Nach dem Regentag wurde es deutlich kälter und die Brunft lauter. An der Mündung der Mur in die Drava röhren vier Hirsche gleichzeitig, jeder in seinem Revier, getrennt vom Wasser. Eine einmalige Klangkulisse, die ich aus den Bergen so nicht kenne. Und in der Morgendämmerung ein optisches Vergnügen: zwei Hindinnen, die durch den nebelverhüllten Fluss schwimmen. Am Ufer treten sie in die ersten Sonnenstrahlen, schütteln sich und für einen kurzen Augenblick stehen sie in einer Wolke aus goldenen Wassertropfen. Das Bild bleibt, auch ohne digitalen Speicher.

D wie Dialog
In den vier Tagen habe ich rund ein Dutzend Angler gesehen. Jedes Mal hatten wir keine Lust zu reden und haben uns freundlich aber schweigend zugewunken. Mein erstes Gespräch habe ich an der Ausstiegsstelle mit einem Ungaren in Örtilös geführt.
Er spricht kaum Englisch, ich überhaupt kein Ungarisch. So tauschen wir nur ein paar Orts- und Flussnamen aus. Ich ziehe mein Kajak aus dem Wasser, er seins ins Wasser. Als er dann im Boot sitz, ruft er zum Abschied: „That is the real life!“.

Mehr gibt’s nicht zu sagen.