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Der dösende Goldschakal

Text: Anne Wiebelitz, Fotos: Gauthier Saillard / Rumänien / Oktober 2018

Die Hitze drückt, als wir zu zweit durch den Sand stapfen. Aus dem Wald, der die Dünenlandschaft mitten im überfluteten Donaudelta umringt, erklingt ein tropisch anmutendes Unkenkonzert. Ab und zu ergänzt ein trommelnder Buntspecht und ein Drosselrohrsänger den Chor. Sonst Stille, und kein Mensch.

Jede Menge Wechsel führen durch die Miniatur-Sandwüste. Sie schneiden die Dünen quer, verlaufen über ihre Rücken und führen wieder herab, es sind unzählige. Die schmale Canidenspur ist eindeutig: hier müssen Goldschakale leben. Ob wir ihnen begegnen werden?

Gauthier und ich lassen uns treiben von den Wechseln, folgen ihnen kreuz und quer, bis ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnehme. Ich friere ein. Das Tier, was im Dünengras auftaucht, hat einen gold-braunen Rücken und geht gemächlich, die Nase am Boden, schräg auf mich zu. Es wirkt unaufmerksam, als hätte es hier niemanden zu fürchten. Der Goldschakal – eine Fähe? ein Rüde? - bemerkt mich erst einige Meter weiter, stutzt in seiner Bewegung und friert ebenfalls ein. Das Fell glitzert wie Gold in der Sonne und macht seinem Namen alle Ehre. Der Schakal ist überraschend groß, erreicht beinah die Größe eines Wolfs, ist aber deutlich schmaler und langbeiniger.

Ein paar Augenblicke lang taxieren wir uns, vielleicht 60, 70 Meter voneinander entfernt. Wer bist du? - Die Frage scheint zumindest auf seiner Seite ausreichend geklärt, als er nach einigen Sekunden mit eingezogenem Schwanz davongaloppiert.

Wir wollen sie nicht stören, und beschließen ein gutes Stück entfernt unser Lager aufzuschlagen. Aber auch hier ist alles von Wechseln durchzogen. Am Abend streift ein weiterer Goldschakal an unserem Sitzplatz vorbei. Auch er ergreift ebenfalls die Flucht, als er unsere Silhouetten im Licht der untergehenden Abendsonne ausmacht.

Goldschakale gibt es seit den 70er Jahren im Donaudelta, in der Gegend erzählt man uns die Geschichte, dass die ersten von ihnen in einem besonders strengen Winter über die zugefrorene Donau von Bulgarien aus kamen. Seither vermehren sie sich hier bei optimalen Lebensbedingungen – tatsächlich haben sie hier außer dem Menschen keine natürlichen Feinde. Wölfe gibt es im Delta vermutlich seit den 1950er Jahren nicht mehr.

In der Abenddämmerung erklingt das erste Heulen. Das zweite, und schließlich ein drittes, lachendes, ganz in der Nähe von unserem Zelt. Von weiter weg mischen sich fiepsende, bellende Laute, Gewinsel in die erwachsenen Rufe hinein – offenbar ziehen die Schakale hier in der Nähe ihre Jungen auf! Das Geheul lässt mir einen Schauer über den Rücken laufen: das Jaulen und fiebrige Gelächter erinnert mich an Fahrten als Kind in einer Geisterbahn. Doch nach einiger Zeit bricht das Heulen schlagartig ab. In der Nacht bleibt es still.

Am nächsten Morgen setze ich mich bei Sonnenaufgang unter eine alte Eiche. Die Sonne geht hinter mir auf, als nur einige Minuten später zwei Goldschakale etwa 80 Meter entfernt vor mir auftauchen. Sie bemerken mich nicht, und einer von ihnen lässt sich nach einigen Metern auf einer Düne mit 360-Grad-Rundumblick nieder. Die nächsten zwei Stunden sonnt er sich im immer mehr wärmenden Licht. Ich beneide ihn um die Wärme aus meiner Schattenposition heraus, die mir aber perfekte Tarnung bietet, und bewege mich keinen Meter. Ich beobachte dieses Wesen: es ist müde, nickt immer wieder mit dem Kopf weg und fängt sich wieder. Mir geht es ähnlich, auch meine Nacht war zu kurz geraten. Aber ich bin zu aufgeregt, um ebenfalls wegzunicken. Ab und zu schnappt er halbherzig nach ein paar Fliegen, scheint aber keine zu erwischen. Dann wieder ab in den Power Nap. Es ist ein Geschenk, ihm solange dabei zuzuschauen. Ab und zu kollert ein Fasan von rechts, aber der Goldschakal zuckt dabei mit keiner Wimper.

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Gauthier beschließt, sich an ihn anzuschleichen. Meter für Meter geht es vorwärts, eine gute halbe Stunde lang, bis er in einem Gebüsch nur um die 20 Meter entfernt stoppt. Im Fernglas wechsele ich hin und her: hier Goldschakal, da Gauthier. Nur ein anfängliches Zucken seiner Ohren verrät, wann Gauthiers Kamera auslöst, aber ansonsten ruht der Schakal weiter ungestört.

Es dauert… zeitlos lang, die Sonne steht mittlerweile hoch am Horizont, als er sich schließlich aufrichtet, gähnt, streckt und zielgerichtet den Hügel hinab auf das Gebüsch zusteuert, in dem Gauthier gut getarnt sitzt. Ich habe plötzlich beide, Goldschakal und Gauthier, in meinem Fernglas, ohne es zu bewegen. Mein Herz klopft schnell. Ein paar Meter vor dem Gebüsch bleibt er stehen, setzt sich wieder hin, kratzt sich. Um dann noch ein paar Meter näher zu gehen – vielleicht will er einfach wissen, was das für ein komisches Klicken war? - und – Sprung in die Luft – Gauthier entdeckt. Er dreht im Sprung um, läuft ein paar Meter davon, um in das Gebüsch zu schauen und – offenbar – Gauthier nicht mehr zu sehen. Ganz anders als am Vortrag läuft er nicht mit eingeklemmter Rute davon, sondern läuft hin und her, ohne ausmachen zu können, was das in dem Gebüsch ist. Nach einigen Sekunden trabt er davon.

Wir sind aufgekratzt und glücklich über diese Begegnung, schauen uns alle Spuren genau an: von wo kam er, wie weit war er entfernt vom Gebüsch (5 Schritte!), wo hat er gelegen – eine kleine Kuhle ist noch zu sehen. Die Losung des zweiten Goldschakals vom Morgen ist schon trocken, ich hätte sie wohl auf gestern datiert.

Wir verlassen gegen Mittag die Dünen, unser Wasser ist alle. Im Dorf treffen wir einen alten Mann und erzählen ihm von unserer Begegnung. Er berichtet uns, dass seit einigen Jahren die Goldschakale ab und zu auch an den Mülltonnen am Dorfrand auftauchen. Was er über sie denke? Nachdenklich meint er, naja, sie sind halt jetzt da, dann muss man eben irgendwie damit zurechtkommen, obwohl letztes Jahr jemand mit der Knarre abends am Dorfrand einen geschossen hat. Aber davon halte er nichts, sie sind ja auch Lebewesen, so wie wir, und müssen eben schauen, wie sie über die Runden kommen.

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